Edith Sheffer, Aspergers Kinder (Campus 2018)
Das bedrückende Ergebnis dieser Studie: Die Diagnose „Asperger-Syndrom“ ist ein Produkt der NS-Psychiatrie. Und Hans Asperger, nach dem diese Diagnose benannt ist, verdient keinen Ehrenplatz in der Geschichte der Medizin.
Gestützt auf Dokumente aus österreichischen Archiven zeichnet Sheffer den Werdegang eines ehrgeizigen jungen Arztes nach, der im nationalsozialistischen Wien an der Universitäts-Kinderklinik Karriere machte, seine Diagnosen Schritt für Schritt der Doktrin der NS-Psychiatrie anpasste und sich für die Aussonderung von Kindern aussprach, die nicht nützlich für die „Volksgemeinschaft“ schienen. Und Asperger schickte persönlich Patienten in die "Euthanasie"-Anstalt „Am Spiegelgrund“, wo behinderte und unangepasste Kinder ermordet wurden.
Walter Scheidel, Nach dem Krieg sind alle gleich (wbg 2018)
Eine unangenehme Wahrheit: Im Lauf der Geschichte konnten nur massive Gewalt und Zerstörung die Ungleichheit in menschlichen Gesellschaften wirksam verringern.
Scheidel zeichnet die Geschichte der Ungleichheit seit Beginn der historischen Aufzeichnungen nach. Er beschreibt vier Kräfte, die im Lauf der Jahrtausende eine deutliche Nivellierung von Einkommen und Vermögen bewirkten: Krieg, Revolution, Staatsversagen, Seuchen. Doch die Nivellierung war nie von Dauer: Sobald die Bevölkerungseinbußen wettgemacht waren oder der Druck revolutionärer Regimes nachließ, erholte sich die Gesellschaft, und die Ungleichheit nahm rasch wieder zu.
Jens Beckert, Imaginierte Zukunft (Suhrkamp 2018)
In seiner faszinierenden Studie stellt Becker die These auf, dass der Kapitalismus die "temporale Orientierung" des Menschen verändert hat. Eine Zukunft, die den Agrargesellschaften nur bringen konnte, was der Lauf der Jahreszeiten für sie bereithielt, wurde durch eine Zukunft ersetzt, die wir uns selbst ausdenken.
Diese Zukunft beruht auf fiktionalen Erwartungen: Wir erfinden eine Zukunft und erschaffen sie anschließend. Zur Beschreibung ihres fiktiven Charakters greift Becker auf die Literaturtheorie zurück: So wie der Leser eines Romans die fiktiven Geschichte glauben will, die ihm der Autor erzählt, wollen die wirtschaftlichen Akteure glauben, dass sich ihre fiktionalen Erwartungen erfüllen werden. Einige imaginierte Zukünfte treten ein, andere bleiben Fiktionen.
Archie Brown, Der Mythos vom starken Führer (Ullstein 2018)
Viele Menschen sehnen sich nach starken Führungspersönlichkeiten, die resolut entscheiden und über das "lähmende Parteiengezänk" erhaben sind. Archie Brown zeigt in seiner scharfsinnigen historischen Studie, dass es noch nie eine gute Idee war, große Macht in die Hände einer einzigen Person zu legen.
Regierungen richten sehr viel weniger Schaden an, wenn ihre Entscheidungen kollektiv gefällt werden. Und das gilt nicht nur in Demokratien, sondern sogar in Einparteienregimes. Eine auf dem Konsens beruhende Führung war sogar in der Sowjetunion und im kommunistischen China stets weniger schädlich: Als Stalin und Mao praktisch alleine entscheiden konnten, schlitterten diese Länder in große Katastrophen.
Sebastian Smee, Kunst und Rivalität (Suhrkamp 2017)
Smee beschreibt, wie vier Paare befreundeter und rivalisierender Maler ihre Beziehung zueinander nutzten, um sich weiterzuentwickeln. Wie sie einander beobachteten, bewunderten, bekämpften - und dabei unentwegt voneinander lernten.
Die mitreißenden Geschichten lesen sich wie kleine Romane. Picasso belauert den Neuerer Matisse, der ihm eines Tages afrikanische Skulpturen zeigt - die sich kurze Zeit später in den Demoiselles d'Avignon wiederfinden. Der minutiöse Freud ist fasziniert von der Gelöstheit Bacons, der sich nicht von seinem mangelnden zeichnerischen Talent bremsen lässt und Kunstwerke schafft, indem er misslungene Bilder zerstört...